Wie raffiniert und „hinterhältig“ Vertragsgestaltungsfragen sein können, zeigt folgende Entscheidung des Obersten Gerichtshofes:
Für die Auslegung der im Dienstvertrag enthaltenen Formulierung „Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt derzeit 38,5 Stunden ohne Pausen“ kommt es darauf an, ob dieser Satz als (verbindliche) Willenserklärung oder als bloße Wissenserklärung (informativer Hinweis auf die bei Dienstvertragsabschluss aktuelle kollektivvertragliche Normalarbeitszeit) zu verstehen ist. Dies muss im Einzelfall an Hand des Wortlauts der Erklärung und allfälliger Begleitumstände geprüft werden, wobei es darauf ankommt, wie ein objektiver Erklärungsempfänger die Formulierung verstehen musste.
Im konkreten Fall war im Zeitpunkt des Dienstvertragsabschlusses der KV-Handelsangestellte (38,5-Stunden-Woche) anwendbar, infolge eines späteren Betriebsübergangs kam es zu einem Wechsel zum KV für Angestellte im Bereich Spedition und Logistik (40-Stunden-Woche). Auffallend ist, dass im konkreten Fall im Dienstvertrag an mehreren anderen Stellen ausdrücklich auf den Kollektivvertrag Bezug genommen wird, bei der gegenständlichen Arbeitszeitregelung jedoch nicht. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Worte „beträgt derzeit“ nicht zwingend auf eine bloße Wissenserklärung hindeuten, sondern auch zum Ausdruck bringen können, dass nach derzeitiger Übereinkunft der Vertragsparteien die Arbeitszeit (unabhängig vom KV) 38,5 Stunden betragen soll, ist daher rechtlich vertretbar. Das einzelvertraglich vereinbarte Arbeitszeitausmaß von 38,5 Stunden (als Vollzeit) gilt daher gemäß § 3 Abs. 3 AVRAG auch nach dem Betriebsübergang weiter. (OGH 29.04.2019, 8 ObA 16/19i)
Fazit: Dienstvertragliche Bestimmungen, die bloß den Text des Kollektivvertrages wiedergeben, sollten auch ausdrücklich auf den Kollektivvertrag Bezug nehmen. Andernfalls riskiert man, dass sie als eigenständige, kollektivvertragsunabhängige und verbindliche Regelungen gewertet werden, die (jedenfalls soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger sind) auch bei späteren KV-Änderungen oder einem KV-Wechsel (z.B. Betriebsübergang, Fachverbandswechsel wegen geänderter Unternehmenstätigkeiten etc.) weitergelten.
Formulierungsbeispiel (auszugsweise entnommen aus dem Vorlagenportal): „Die wöchentliche Normalarbeitszeit beträgt entsprechend der kollektivvertraglichen Normalarbeitszeit ausschließlich der Pausen …… Stunden“.