News vom 3. Dezember 2021
Nun ist sie da, die lang erwartete höchstgerichtliche Entscheidung zur viel diskutierten Frage, ob die bei Kurzarbeit vorgesehene Pflicht zur Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstandes eine reine „Kopfzahl-Beurteilung“ mit bloß beihilfenrechtlicher Bedeutung darstellt oder ob sie auch einen individuellen Kündigungsschutz für die einzelnen Arbeitnehmer begründet:
Kein zusätzlicher individueller Kündigungsschutz durch Kurzarbeit
Wesentlicher Zweck der auf der Sozialpartnervereinbarung gegründeten Corona-Kurzarbeitsvereinbarungen ist es, die Voraussetzung für die Erlangung von Kurzarbeitsbeihilfen gemäß § 37b Abs. 2 AMSG zu schaffen. Das Gesetz stellt explizit auf die Zahl der insgesamt Beschäftigten ab, ohne einen individuellen Kündigungsschutz zu statuieren. Dementsprechend definiert die Sozialpartnervereinbarung die Behaltepflicht als Verpflichtung, den „Beschäftigtenstand“ im Betrieb aufrecht zu erhalten, der zum Zeitpunkt des Geltungsbeginns der Kurzarbeitsvereinbarung bestanden hat. Aus den Bestimmungen des § 37b AMSG in Verbindung mit den hier maßgeblichen Regelungen der Kurzarbeitsvereinbarungen ergibt sich keine Unwirksamkeit einer während der Kurzarbeit oder der anschließenden Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung. Die AMS-Förderung ist allerdings im Rahmen einer allfälligen Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit bei der Beurteilung des Vorliegens „betriebliche Erfordernisse“ für die Kündigung (§ 105 Abs. 3 Z. 2 lit. b ArbVG) zu berücksichtigen.
(OGH 22.10.2021, 8 ObA 48/21y)
Fazit: Eine Arbeitgeberkündigung, die während der Kurzarbeit oder der anschließenden einmonatigen Behaltefrist ausgesprochen wird, unterliegt keiner Unwirksamkeitssanktion (sondern kann bei Unterbleiben einer Nachbesetzung zur Kürzung der AMS-Kurzarbeitsbeihilfe führen). ABER: Es steht dem gekündigten Arbeitnehmer nach den allgemeinen Regeln des Betriebsverfassungsrechts offen, bei Vorliegen besonderer sozialer Umstände (lange Betriebszugehörigkeit, höheres Alter, schlechte Jobchancen, Sorgepflichten etc.) beim Arbeits- und Sozialgericht eine Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit (§ 105 Abs. 3 Z. 2 ArbVG) zu versuchen. Im Rahmen der Sozialwidrigkeitsbeurteilung wäre dann bei der Frage der wirtschaftlichen Rechtfertigung der Kündigung zu berücksichtigen (i.d.R. zum Nachteil des Arbeitgebers), dass der Arbeitgeber für die Zeit der Kurzarbeit ohnehin AMS-Förderungen erhält. Dieser letzte Aspekt kann also im Ergebnis doch wieder einen gewissen Schutzeffekt für Arbeitnehmer (und damit ein Risiko für den Arbeitgeber) bewirken, weshalb aus Betriebssicht bei geplanten Kündigungen während der Kurzarbeit bzw. einmonatigen Behaltefrist stets mit Umsicht vorgegangen werden sollte.