News vom 10. Mai 2022

Die lang erwartete Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des Saisoncharakters des Hotel- und Gastgewerbes ist nun veröffentlicht worden (OGH 24.03.2022, 9 ObA 116/21f). Leider bringt die Entscheidung, durch die der Antrag der Wirtschaftskammer abgewiesen worden ist, nicht die erhoffte Klarheit, sondern schafft für die Praxis erhebliche Verunsicherung.

Die Vorgeschichte
Seit 01.10.2021 gelten bekanntlich für Arbeiter im Grundsatz dieselben gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine wie bei Angestellten, also je nach Dienstzeit sechs Wochen bis fünf Monate zum Quartalsende bzw. falls vertraglich vereinbart zum 15. oder Letzten des Monats (§ 1159 ABGB). Durch Kollektivvertrag können aber für Branchen, in denen Saisonbetriebe österreichweit überwiegen, weiterhin auch kürzere Kündigungsfristen geregelt werden. Der Saisoncharakter des Hotel- und Gastgewerbes ist zwischen WKO und ÖGB heftig umstritten, und damit ist auch die Frage strittig, ob die kollektivvertragliche 14-tägige Kündigungsfrist bei Arbeitern im Hotel- und Gastgewerbe weiter gültig ist oder von der strengeren gesetzlichen Kündigungsregel verdrängt worden ist. Um dies zu klären, haben die WKO-Fachverbände Hotellerie und Gastrononomie beim OGH die Feststellung beantragt, dass die 14-tägige Kündigungsfrist weiterhin wirksam bleibt. Die Fachverbände hatten dazu vorgebracht, dass im Zeitraum 2014 bis 2018 die Schwankung zwischen dem höchstem und dem niedrigstem Beschäftigungsstand in der Hotellerie und Gastronomie bei der Mehrzahl der Betriebe über 33,33 % betragen habe und hatten hierfür zahlreiches Datenmaterial vorgelegt.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes
Laut dem nun erschienen OGH-Beschluss (OGH 24.03.2022, 9 ObA 116/21f) ist den antragstellenden WKO-Fachverbänden aber der Beweis des zahlenmäßigen Überwiegens der Saisonbetriebe im österreichischen Hotel- und Gastgewerbe misslungen. Der OGH meint, dass das zur Schwankungsbreite der Beschäftigtenstände vorgelegte Datenmaterial keinen Schluss auf rein saisonale Gründe zulasse. Der Antrag wurde daher abgewiesen.

Was das nun für die Praxis bedeutet
Die OGH-Entscheidung ist aus dem Blickwinkel der Rechtssicherheit sehr unbefriedigend: Die Entscheidung besagt nämlich nicht, dass das österreichische Hotel- und Gastgewerbe tatsächlich keine überwiegende Saisonbranche ist, sondern nur, dass der Wirtschaftskammer mit den vorgelegten Daten der Nachweis der überwiegenden Saisonbranche nicht gelungen ist. Das heißt: Die Sache ist nicht endgültig vom Tisch. Es bleibt offen, ob das Hotel- und Gastgewerbe nicht vielleicht doch eine überwiegende Saisonbranche ist. Der WKO steht es frei, mit neuem Datenmaterial einen zweiten Anlauf zu nehmen, um in einem neuen OGH-Verfahren möglicherweise zu gewinnen. Ein solches weiteres Verfahren würde, sofern ein solches überhaupt in Angriff genommen wird, mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder mehrere Monate dauern. Denkmöglich wäre es auch, dass – ungeachtet der missglückten generellen Klärung – einzelne Hotel- und Gastgewerbebetriebe in konkreten arbeitsgerichtlichen Verfahren versuchen, den überwiegenden Saisoncharakter der Hotel- und Gastgewerbe-Branche zu beweisen.

Fazit: Die Kündigungsfrist bei Arbeitern im Hotel- und Gastgewerbe bleibt ungeklärt. Es herrschen weiterhin Unklarheit und Chaos.

Was man angesichts der rechtlichen Unsicherheit tun kann
Solange keine höchstgerichtliche Klärung oder Bereinigung der Situation durch Einigung der KV-Partner erfolgt (in welche Richtung auch immer), ist u.E. folgende Vorgehensweise empfehlenswert (bitte im Einzelfall aber unbedingt mit dem/der Berater/in Ihres Vertrauens abstimmen):

  • Bei Neuabschluss von Arbeiter-Dienstverträgen im Hotel- und Gastgewerbe kann eine „kombinierte“ Formulierung verwendet werden, die einerseits auf die 14-tägige Kündigungsfrist laut Kollektivvertrag verweist (für den Fall, dass die Rechtsprechung irgendwann den Saisoncharakter doch noch bejahen sollte) und andererseits den 15. und Letzten des Kalendermonats als Kündigungstermin für den Arbeitgeber absichert (für den Fall, dass die Rechtsprechung irgendwann den Saisoncharakter endgültig verneinen sollte).
  • Im Falle der Beendigung von Arbeiter-Dienstverhältnissen im Hotel- und Gastgewerbe kann (wie auch sonst) versucht werden, auf einvernehmliche Auflösungen „auszuweichen“. Falls dies mangels Zustimmung des Arbeitnehmers nicht in Frage kommt, wäre es zur Vermeidung des Risikos einer Kündigungsentschädigung wohl sinnvoll, vorsichtshalber die gesetzlich maßgebliche Kündigungsfrist (zum vorgesehenen Kündigungstermin) anzuwenden.

Einen Textvorschlag für die vorstehend erwähnte „Kombi-Formulierung“ finden Sie in unserem News-Beitrag vom 16. September 2021.