News vom 11. April 2022
Der EuGH hatte mit Urteil vom 25.11.2021, C‑233/20 entschieden, dass auch ein unberechtigt vorzeitig austretender Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsersatzleistung hat und dass § 10 Abs. 2 Urlaubsgesetz insoweit unanwendbar ist (siehe dazu unseren Newsbeitrag vom 25.11.2021). Der Oberste Gerichtshof vertritt nun die Ansicht, dass die EuGH-Aussage nur den EU-rechtlichen Mindesturlaub (vier Wochen jährlich) erfasst. Hier ein Kurzauszug aus der aktuellen OGH-Entscheidung (OGH 17.02.2022, 9 ObA 150/21f):
Da das österreichische Urlaubsgesetz einen Urlaubsanspruch von fünf bzw. sechs Wochen gewährt, kann das Urlaubsgesetz die Bedingungen für die Gewährung und den Entfall selbst festlegen. § 10 Abs. 2 UrlG ist daher (nur) insoweit unangewendet zu lassen, dass im Ergebnis der Arbeitnehmer eine Urlaubsersatzleistung auf Basis des unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs erhält. Bezüglich jenes Urlaubsteils, der darüber hinausgeht und sich lediglich aus dem österreichischen Urlaubsgesetz ergibt, kann im Falle eines unberechtigten Austritts die Urlaubsersatzleistung gemäß § 10 Abs. 2 UrlG sehr wohl entfallen. Die dem Arbeitnehmer gebührende Urlaubsersatzleistung errechnet sich diesfalls auf Basis des EU-rechtlichen Mindesturlaubs von vier Wochen (20 Urlaubstage) abzüglich des bereits verbrauchten Urlaubs. Im konkreten Fall ergibt sich aufgrund des 107 Kalendertage dauernden Dienstverhältnisses und dem Verbrauch von vier Urlaubstagen ein Anspruch auf Urlaubsersatzleistung für 1,86 Tage.
Fazit: Die Urlaubsverwaltung wird in Branchen, in denen unberechtigte Austritte erfahrungsgemäß häufiger vorkommen (z.B. Gastronomie, Reinigungsgewerbe, Baubranche o.ä.) noch komplizierter als bisher. Wenn ein Arbeitnehmer unberechtigt austritt, gebührt ihm jener Teil der Urlaubsersatzleistung, der sich aus der EU-Mindestgarantie (Basis vier Wochen) ergibt. Jener Teil der Urlaubsersatzleistung, der nur aus dem österreichischen Urlaubsgesetz resultiert, darf gestrichen werden. Das bedeutet im jeweiligen Einzelfall eine vergleichende fiktive Berechnung nach dem EU-Recht. In dem vom OGH entschiedenen Fall war dies zwar noch relativ einfach, weil das Dienstverhältnis nur 107 Tage dauerte und damit den Zeithorizont eines Urlaubsjahres nicht überschritt:
- Österreichisches Urlaubsgesetz: 25 Urlaubstage /365 * 107 = 7,33, davon 4 verbraucht = 3,33 Urlaubstage.
- EU-Recht: 20 Urlaubstage / 365 * 107 = 5,86, davon 4 verbraucht = 1,86.
- Der Arbeitnehmer hatte daher in diesem Fall nur Anspruch auf Urlaubsersatzleistung für 1,86 Urlaubstage, den Rest hat er gemäß § 10 Abs. 2 UrlG verloren.
Wesentlich schwieriger ist die Vergleichsrechnung allerdings bei unberechtigt austretenden Arbeitnehmern, die bereits mehrere Dienstjahre zurückgelegt haben. Denn diesfalls müssen ggf. die Urlaubsansprüche mehrerer Urlaubsjahre (unter Beachtung allfälliger Urlaubsverjährungen) gegenübergestellt werden. Bei längeren Dienstverhältnissen kann es dabei erforderlich sein, sehr weit in die „Urlaubshistorie“ zurückzugehen (gemäß dem Grundsatz „Alter Urlaub wird vor neuem Urlaub verbraucht“). Zu beachten ist natürlich stets, dass vom Verlust der Urlaubsersatzleistung gemäß § 10 Abs. 2 UrlG immer nur der Urlaub des letzten Urlaubsjahres betroffen sein kann (nicht aber Urlaube aus alten Urlaubsjahren).