News vom 27. Juli 2022, ergänzt am 4. August 2022
Die verpflichtende Quarantäne für corona-infizierte Personen wird mit Wirkung ab 1. August 2022 abgeschafft (COVID-19-Verkehrsbeschränkungsverordnung, BGBl. II Nr. 295/2022). Auch mit positivem Coronatest darf man die eigenen vier Wände verlassen, mit FFP2-Maske sogar den Arbeitsplatz aufsuchen. Die neue Regelung löst allerdings viele arbeitsrechtliche Fragen aus. Die für die Praxis wichtigsten Fragestellungen werden in diesem Newsbeitrag beantwortet.
Was regelt die neue Verordnung?
Die Verordnung tritt mit 1. August 2022 in Kraft. Die verpflichtende Corona-Quarantäne (Absonderung gemäß Epidemiegesetz) fällt weg und wird durch so genannte „Verkehrsbeschränkungen“ ersetzt. Das bedeutet konkret, dass Personen mit positivem COVID-19-Test ihren Wohnbereich verlassen dürfen, sie müssen aber eine FFP2-Maske tragen. Lediglich im Freien fällt die Maskenpflicht weg, wenn die Einhaltung eines Mindestabstands von zwei Metern gegenüber anderen Personen gewährleistet ist. Bei Symptomfreiheit ist auch das Arbeiten am Arbeitsplatz mit FFP2-Maske zulässig.
Es liegt auf der Hand, dass die neuen Regeln verstärkt auf Eigenverantwortung setzen. Denn die Beurteilung, ob Symptome vorliegen oder nicht, kann naturgemäß nur die betroffene Person selbst vornehmen. Seitens der verantwortlichen Politiker (insbesondere des Gesundheitsministers) erfolgt der Paradigmenwechsel von staatlichen Zwangsvorgaben (Absonderung) zur Eigenverantwortlichkeit (Verkehrsbeschränkung) bewusst, auch wenn dies von vielen Seiten (z.B. einigen Virologen) massiv kritisiert wird. Auf den ersten Blick klingt das neue Konzept sehr großzügig, es wirft aber leider für die Betriebe eine Reihe an ungeklärten Fragen auf. So dürfen etwa infizierte Arbeitnehmer im Betrieb ihre FFP2-Maske für die gesamte Zeit ihrer Anwesenheit im Betrieb nicht abnehmen und daher in dieser Zeit streng genommen auch weder essen noch trinken. Besonders Letzteres ist bei sommerlicher Hitze keine einfache Situation. Die Betriebe werden einiges organisatorisches Geschick aufbringen müssen, um die neuen Bestimmungen sinnvoll und für alle Beteiligten sicher zu vollziehen.
Beachte: Wenn Symptome bestehen, ist das Erscheinen am Arbeitsplatz jedenfalls unzulässig und der Arbeitnehmer muss sich krankschreiben lassen. Hierfür wird mit 1. August 2022 die telefonische Krankschreibung wieder eingeführt.
Wie werden Risikogruppen geschützt?
Die mit 30. Juni 2022 ausgelaufene Risikofreistellungsregelung (§ 735 ASVG) wird wieder aktiviert und gilt zunächst für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 2022 (Verordnung des Arbeitsministers, BGBl. I Nr. 293/2022, verlautbart am 27. 7. 2022). Ob es danach zu einer Verlängerung kommen wird, ist aktuell noch offen und wird von der pandemischen Entwicklung abhängen.
Personen mit ärztlichem COVID-19-Risikoattest haben daher Anspruch darauf, dass der Betrieb für besonderen Schutz vor Ansteckung sorgt (z.B. Arbeiten im Homeoffice oder in einem Einzelzimmer). Andernfalls sind sie unter Fortzahlung der Bezüge vom Dienst freizustellen, wobei dem Betrieb die Entgeltfortzahlungskosten durch den Krankenversicherungsträger rückerstattet werden. Ein ärztliches COVID-19-Risikoattest ist nur bei jenen Risikopersonen zulässig, die trotz dreifacher COVID-19-Impfung dem Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs unterliegen oder aus medizinischen Gründen nicht gegen COVID-19 geimpft werden können (§ 735 ASVG). Es muss sich außerdem um ein ab dem 3. Dezember 2021 ausgestelltes Risikoattest handeln. Das bedeutet umgekehrt aber auch, dass aus Anlass der Wiedereinführung der Risikofreistellungsregelung keine Neuausstellung eines bereits vorhandenen Attests notwendig ist.
Muss ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine Corona-Infektion melden?
Der Arbeitnehmer ist aufgrund der arbeitsrechtlichen Treuepflicht verpflichtet, den Arbeitgeber über die Corona-Infektion zu informieren. Durch diese Mitteilung wird der Arbeitgeber für den Fall, dass der infizierte Arbeitnehmer im Betrieb weiterarbeitet, in die Lage versetzt, geeignete Schutzmaßnahmen für andere Arbeitnehmer und sonstige Personen (z.B. Kunden, Geschäftspartner etc.) zu setzen. Die Verpflichtung des Arbeitgebers zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer ergibt sich aus der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht.
Was passiert, wenn ein Arbeitnehmer die Meldepflicht verletzt?
Wenn ein im Betrieb tätiger Arbeitnehmer es unterlässt, den Arbeitgeber über die Corona-Infektion zu informieren, drohen ihm arbeitsrechtliche Konsequenzen. Diese können je nach „Schwere“ des Falls von einer Verwarnung bis hin zur Beendigung des Dienstverhältnisses – also insbesondere durch Kündigung, in drastischen Ausnahmefällen (zB Zusammenarbeit mit Risikogruppen) ggf sogar durch Entlassung – reichen. Selbstverständlich hat der Arbeitgeber die Auswahl der konkreten arbeitsrechtlichen Schritte stets im Einzelfall sorgfältig abzuwägen.
Was muss der Arbeitgeber zum Schutz der Belegschaft (und allfälliger Kunden) tun?
Der Arbeitgeber hat im Betrieb alle zumutbaren Möglichkeiten zu nutzen, um das Risiko von Ansteckungen für die Belegschaft (und für anwesende Geschäftspartner) so weit wie möglich zu reduzieren. Darunter können bspw das Arbeiten von infizierten Personen in einem Einzelraum, die Vereinbarung von Arbeiten im Homeoffice und das Verbot der Kantinenbenutzung durch infizierte Personen fallen. Insbesondere hat der Arbeitgeber durch organisatorische Maßnahmen (einschließlich zumindest stichprobenartiger Kontrollen) sicherzustellen, dass infizierte Arbeitnehmer durchgehend eine FFP2-Maske tragen. Wenn der Arbeitgeber seine Sorgfaltspflichten schuldhaft verletzt, ist eine Haftung des Arbeitgebers gegenüber Mitarbeitern denkbar, die aufgrund unzulänglicher Schutzmaßnahmen durch einen corona-positiven Arbeitskollegen infiziert werden. In der Praxis werden derartige Haftungen allerdings aufgrund des schwierigen Kausalitätsnachweises wohl eher keine große Rolle spielen.
Ist ein corona-infizierter Arbeitnehmer verpflichtet, arbeiten zu gehen?
Wer Symptome aufweist und somit als krank bzw. arbeitsunfähig gilt, darf und muss – „zu Hause“ bleiben und sich telefonisch krankschreiben lassen. In diesem Fall liegt ein Krankenstand nach den allgemeinen Krankenstandregelungen vor. Der Arbeitnehmer hat auf Aufforderung des Arbeitgebers eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbestätigung zu übermitteln. Für die Erlangung der Arbeitsunfähigkeitsbestätigung steht dem Arbeitnehmer seit 1. August 2022 die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung zur Verfügung.
Im Falle der Symptomlosigkeit ist es möglich, dass der Arbeitnehmer im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber Arbeitsleistungen im Homeoffice erbringt. Alternativ besteht die Möglichkeit, dass der symptomfreie Arbeitnehmer im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber im Betrieb mit FFP2-Maske arbeitet. Ob ein symptomloser Arbeitnehmer aber zum Erscheinen im Betrieb verpflichtet werden kann, ist rechtlich nicht geklärt. Diese Frage kann in der Praxis vor allem dann große Bedeutung erlangen, wenn im Betrieb gerade ein personeller Engpass besteht und die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers dringend benötigt wird. Letztlich kommt es wohl darauf an, ob im Einzelfall eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt. Abgesehen davon, dass ein nicht „erscheinungswilliger“ Arbeitnehmer einfach behaupten könnte, Symptome zu haben (eine solche unredliche Behauptung wäre seitens des Arbeitgebers naturgemäß kaum widerlegbar), besteht u.E. aus folgendem Grund auch bei symptomfreier Infektion die Möglichkeit einer Krankschreibung: Jedem Corona-Infizierten ist angesichts des – nach aktuellem Stand der Wissenschaft – nicht ausschließbaren Risikos einer Verschlechterung oder der Gefahr gesundheitlicher Folgen (z.B. Long-Covid) das Recht zuzubilligen, sich zur Bewältigung der Infektion bestmöglich zu schonen und beim Vertrauensarzt eine Krankschreibung anzuregen. Die praktische Erfahrung hat gezeigt, dass es durchaus Fälle gibt, in denen bei „normal“ weiterarbeitenden Personen nach zunächst symptomlosem Coronaverlauf in der Folge gesundheitliche Beschwerden auftreten. Der Umstand, dass hinsichtlich der tatsächlichen Kausalität de facto kaum eine Beweisführung möglich ist, stellt mE kein zureichendes Gegenargument gegen die Zulässigkeit einer Krankschreibung in solchen Fällen dar. Dies entspricht im Übrigen dem allgemeinen Grundsatz, dass als arbeitsunfähig gilt, wer infolge einer Krankheit nicht oder nur mit der Gefahr einer Verschlechterung seines Zustandes in der Lage ist, seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Demnach liegt Arbeitsunfähigkeit auch dann vor, wenn dem Arbeitnehmer eine Arbeitsaufnahme wegen der Verschlechterungsgefahr nicht zumutbar ist (siehe dazu beispielsweise Spitzl, Die Krankschreibung im Sozialrecht, ZAS 2003, 148).
Ein Arbeitnehmer, der – sei es auch ohne aktuelle Symptome – nach fachmedizinischem Ermessen des Arztes unter Einschätzung der konkreten Risikosituation krankgeschrieben wird, befindet sich somit rechtlich gesehen im Krankenstand und erhält das Krankenentgelt nach den allgemeinen Bestimmungen (§ 8 Abs. 1 und 2 AngG bzw. § 2 EFZG) weiterbezahlt.
Kann der Arbeitgeber corona-infizierten Mitarbeitern den Zutritt zum Betrieb verweigern?
Der Arbeitgeber ist berechtigt (aufgrund der COVID-19-Verkehrsbeschränkungsverordnung aber nicht dazu verpflichtet), corona-infizierte Mitarbeiter zum Schutz der Arbeitskollegen vom Betrieb fernzuhalten. Eine Alternative besteht darin, arbeitswillige symptomfreie Mitarbeiter mit deren Zustimmung im Homeoffice arbeiten zu lassen. Scheidet diese Möglichkeit aus (z.B. aufgrund des Tätigkeitsbereichs) und erklärt sich der Arbeitnehmer für die Arbeit im Betrieb leistungsbereit, ist der auf dem betrieblichen „Betretungsverbot“ bestehende Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung verpflichtet, da es sich diesfalls um eine betriebsseitige Dienstfreistellung handelt (vgl. § 1155 ABGB). Der Arbeitgeber bleibt dann, ohne eine Arbeitsleistung zu erhalten, auf den Kosten der Entgeltfortzahlung „sitzen“. Die Rückvergütung gemäß § 32 EpiG ist in diesem Fall nicht anwendbar.
Was ist, wenn Mitarbeiter mit einem corona-positiven Arbeitskollegen nicht gemeinsam arbeiten wollen?
Es gibt kein allgemeines Recht, aus Angst vor einer Ansteckung der Arbeit fernzubleiben. Allerdings ist hier zu differenzieren und in folgenden Fällen eine Berechtigung zum Verlassen des Arbeitsplatzes („Zuhause-Bleiben“) anzuerkennen:
- Personen mit einem ärztlichen Risikoattest: Siehe dazu bereits die obigen Ausführungen zu den „Risikogruppen“.
- Unmittelbarer Kontakt mit infizierten Personen: Im Zweifelsfall kann wohl niemand dazu gezwungen werden, mit corona-positiven Kollegen – auch wenn diese eine FFP2-Maske tragen – unmittelbar zusammenzuarbeiten. Dies betrifft mE bspw gemeinsame Fahrten (im selben Fahrzeug) zu einem Montageeinsatz oder das Arbeiten im Team in einem kleinen Raum.
- Gefahr durch Nichteinhaltung der Coronaregeln: Im Falle einer ernsten und unmittelbaren Gesundheitsgefahr (zB wenn sich ein corona-positiver Arbeitskollege nicht an die Pflicht zum durchgehenden Tragen einer FFP2-Maske hält) darf der Gefahrenbereich verlassen werden (§ 8 AVRAG).
Der Arbeitgeber hat alle denkmöglichen Alternativen auszuschöpfen, um geäußerten Urgenzen oder Bedenken von Mitarbeitern Rechnung zu tragen, zB durch das Anbieten von Homeoffice, Zuweisung getrennter Räumlichkeiten, regelmäßiges Lüften etc. Werden derartige Maßnahmen nicht genutzt, besteht für den Arbeitgeber das Risiko, dass betroffene Mitarbeiter von der Arbeit fernbleiben und die Fortzahlung ihrer Bezüge fordern (als Rechtsgrundlage käme hierfür § 1155 ABGB in Betracht, wenngleich die Anwendung dieser Bestimmung in einer solchen Konstellation wohl durchaus juristisches Diskussionspotenzial aufweist).
Welche Auswirkungen hat der Wegfall der Quarantäne-Pflicht auf die Rückvergütung nach dem Epidemiegesetz?
Bisher war der Arbeitgeber bei Arbeitnehmern, die behördlich in Quarantäne geschickt wurden, laut Epidemiegesetz (EpiG) zur Weiterzahlung des Entgelts verpflichtet, konnte aber im Gegenzug die Rückerstattung des Entgelts bei der Bezirksverwaltungsbehörde beantragen (§ 32 Abs 3 EpiG). In der Praxis war (insbesondere auch seitens der ÖGK) die Sichtweise vorherrschend (trotz teilweiser gegenteiliger Fachliteratur), dass die Absonderung den Krankenstand rechtlich „verdränge“ und die Vergütung daher ausschließlich nach § 32 EpiG zu beurteilen sei. Diese Bestimmung verliert naturgemäß ihren Kernanwendungsbereich, wenn Arbeitnehmer nun behördlich nicht mehr in Quarantäne verbleiben müssen, sondern sich wie bei jeder anderen Erkrankung krankschreiben lassen. Der Arbeitgeber ist diesfalls zur Entgeltfortzahlung nach den allgemeinen Krankenstandregelungen (§ 8 Abs. 1 und 2 AngG, § 2 EFZG) verpflichtet, ohne einen Kostenrückersatz nach § 32 Abs 3 EpiG zu erhalten. Damit wird das Pandemierisiko des Ausfalls von corona-positiven symptomatischen Arbeitnehmern auf die Betriebe überwälzt.
In § 32 EpiG wurde kürzlich ein neuer Absatz 1a eingefügt (BGBl I 2022/89), der am 1. 7. 2022 in Kraft getreten ist. Dieser hat folgenden Wortlaut:
„Abweichend von Abs. 1 Z. 1 und Z. 3 ist für die Dauer der Pandemie mit COVID-19 eine Vergütung nach Abs. 1 auch dann zu leisten, wenn bei einer natürlichen Person der Nachweis einer befugten Stelle über ein positives Ergebnis eines molekularbiologischen Tests auf SARS-CoV-2 vorliegt. Die Vergütung ist für jeden Tag zu leisten, für den eine Maßnahme gemäß § 7 oder § 17 angeordnet worden wäre. Ebenso ist eine Vergütung zu leisten, wenn einer Person aufgrund einer Verordnung nach § 7b Abs. 1 Verkehrsbeschränkungen auferlegt wurden und ihr deshalb durch die Behinderung ihres Erwerbes ein Vermögensnachteil entstanden ist.“
Aus § 32 Abs 1a EpiG iVm § 8 COVID-19-VbV ergibt sich, dass Vergütungen für den Verdienstentgang gemäß § 32 EpiG bei corona-infizierten symptomfreien Arbeitnehmern weiterhin anwendbar bleiben, wenn
- das Arbeiten mit durchgehend getragener FFP2-Maske aus medizinischen Gründen (z.B. Schwangere) oder aufgrund der Art der Arbeitsleistung (z.B. Sänger, Musiker, Logopäde o.Ä.; u.E. fallen aber auch körperlich schwere Arbeiten darunter) nicht möglich ist und
- keine sonstigen geeigneten organisatorischen oder räumlichen Schutzmaßnahmen getroffen werden können.
Praktische Anmerkung: Es ist wohl davon auszugehen, dass die für die Vollziehung der Rückvergütungen gemäß § 32 EpiG zuständigen Verwaltungsstellen der Bundesländer bzw Bezirksverwaltungsbehörden ihre Antragsformulare anpassen werden. Voraussichtlich werden die Arbeitgeber daher in den Rückvergütungsanträgen hinkünftig ausdrücklich bestätigen müssen (mit nachvollziehbarer Begründung), warum im konkreten Einzelfall keine Arbeitsleistung des (symptomlosen) Arbeitnehmers möglich war. Es erscheint vorhersehbar, dass dies in der Praxis neuen Diskussionsstoff bei der ohnehin schon „überbürokratisierten“ Verdienstentgangs-Entschädigung mit sich bringen wird.